Als IT-Sachverständiger bin ich nicht ausschließlich für öffentliche Auftraggeber wie Gerichte tätig. Überwiegend berate und unterstütze ich Unternehmen und Behörden bei der Durchführung von IT-Projekten. Ein häufiger Anlass für Konflikte sind hier die ungeliebten Mitwirkungsleistungen. Die Auftraggeberin möchte möglichst wenig „Zusatzarbeit“ für ein extern vergebenes Projekt erbringen. Auch die Auftragnehmerin formuliert ihre Mitwirkungsanforderungen eher zurückhaltend, um den Auftrag nicht zu gefährden. Damit sind Mitwirkungsleistungen im Projektgeschehen wenig präsent, obwohl sie für den Projekterfolg eine entscheidende Bedeutung besitzen. Überdies gibt es für die Erbringung nur rudimentäre gesetzliche Regelungen. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie sie dieses Dilemma bei den Mitwirkungsleistungen vermeiden und zu einer konstruktiven Vorgehensweise kommen können.
In einer aktuellen Situation hatte die Auftraggeberin die Einführung eines neuen ERP-Systems beauftragt. Im Vertrag ist ein maximales Kontingent von personellen Mitwirkungsleistungen vorgesehen. Im Projektverlauf wurde dieses Kontingent aufgebraucht. Die Auftraggeberin weigerte sich daraufhin, noch weitere Mitwirkungsleistungen zu erbringen. Sie erklärte der Auftragnehmerin, dass sie jetzt die notwendigen Arbeiten eigenverantwortlich leisten müsse. Es stellt sich jetzt die Frage, ob die Auftragnehmerin diese Anforderung umsetzen kann und ob damit die von der Auftragnehmerin zu erbringende Leistung überhaupt möglich wird.
Aus Sicht einer fachgerechten Projektplanung ist eine Bezifferung der Mitwirkungsleistungen geboten. Die Auftraggeberin möchte in der Regel ihre Mitwirkungsleistungen begrenzen, um eine belastbare Ressourcenplanung zu ermöglichen. Damit die Projektkosten möglichst gering werden, liegt auch ein möglichst geringer Aufwand in ihrem Interesse. Die Auftragnehmerin spielt den Mitwirkungsaufwand in den vertraglichen Verhandlungen insgesamt eher herunter, muss aber andererseits für den Projekterfolg geradestehen. Sie ist daher darauf angewiesen, dass Leistungen von der Auftraggeberin erbracht werden, die sie selbst nicht erbringen kann.
Daneben gibt es in Projekten eine Reihe von Arbeiten, die von beiden Projektpartnern geleistet werden können. Hierzu gehört beispielsweise die Durchführung von Tests oder die Umsetzung von Bereinigungsarbeiten im Datenbestand (sogenanntes Data Cleansing). Beide Projektpartner haben somit ein wirtschaftliches Interesse, bestimmte Arbeiten nicht leisten zu müssen oder den Aufwand möglichst gering zu halten. Demgegenüber steht der Projekterfolg, der von Leistungen beider Projektpartner abhängt.
In diesem Beitrag erläutere ich zunächst zum besseren Verständnis typische Mitwirkungsleistungen und diskutiere dann die Frage, ob die Auftraggeberin eines IT-Projektes Mitwirkungsleistungen erbringen muss. Danach schlage ich Vereinbarungen vor, die aus technischer Sicht konstruktiv sind und zum Projekterfolg beitragen.
1. Was sind typische Mitwirkungsleistungen?
Mitwirkungsleistungen sind Leistungen der Auftraggeberin, die zum Erreichen des Projekterfolgs notwendig sind. Manchmal wird zwischen Mitwirkungsleistungen und Beistellungen unterschieden. Letztgenannte bezeichnen in der Regel Sachleistungen der Auftraggeberin wie die Bereitstellung von IT-Infrastruktur oder Netzanbindungen, die die Auftragnehmerin zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.
Typische Leistungen der Auftraggeberin sind:
- Bereitstellung von Räumen mit Arbeitsplätzen, Kommunikationseinrichtungen und Netzanbindungen (öffentliche und/oder interne)
- Bereitstellung von Dokumentationen und Unterlagen zu internen Strukturen, Abläufen oder Regelungen
- Beschaffung und Bereitstellung von IT-Infrastruktur (wie beispielsweise Zugang zur internen Rechnerstruktur)
- Beschaffung und Bereitstellung von Lizenzen
- Beschaffung und Bereitstellung von Software
- Bereitstellung von Testsystemen/Qualitätssicherungssystemen
- Vorbereitung und Durchführung des Data Cleansing sowie der Übernahme von Daten aus den bestehenden Systemen (siehe dazu den Artikel zur Datenmigration Datenmigration – Pflicht zur Zusammenarbeit)
- Bereitstellung von Daten (für Tests)
- Bereitstellung von Testfällen mit einer ausreichenden Abdeckung der benötigten Funktionalitäten
- Durchführung beziehungsweise Teilnahme an bestimmten Tests (wie Integrationstest, Lasttest etc.)
- Übermittlung von Fehlermeldungen
- Erstellung von Abnahmespezifikationen
- Bereitstellung von Schnittstellen beziehungsweise sogenannten Stubs (Platzhalter für noch nicht entwickelten Programmcode) zu anderen Systemen (siehe dazu den Artikel IT-Projekte: Herausforderung Schnittstellen)
- Erbringung von organisatorischen Leistungen (wie Zuweisung von Verantwortlichkeiten, Vorbereitung von Sitzungen oder Erteilung von Zugangsberechtigungen zu Räumen und Systemen)
- Gegebenenfalls Anpassung von Organisationsstrukturen an IT-Abläufe
- Freigaben von Zwischenschritten/Zwischenergebnissen im Projekt (wie beispielsweise Change Requests)
- Koordination mit Leistungen weiterer beteiligter Dienstleister
- Bereitstellung von Ansprechpartnern für fachliche Themen (wie etwa zu Kontenrahmen, Geschäftsprozessen, benötigten Auswertungen oder Rechte- und Rollenverteilung der Mitarbeiter)
- Entscheidungen über einzelne Festlegungen im Projektgeschehen (wie gegebenenfalls Umsetzung von Change Requests)
- Teilnahme an Workshops
- Durchführung von Schulungen durch Key-User
Diese Liste zeigt das Spektrum der Aufgaben, die für das Erreichen der Projektziele in Betracht gezogen werden müssen. Nicht in jedem Projekt fallen alle Aufgaben an; auch müssen sie nicht ausschließlich von der Auftraggeberin erbracht werden. Die Verteilung dieser Arbeiten hängt stark von dem jeweiligen Projekt ab und erstreckt sich in der Regel über nahezu alle Projektphasen. Eine Ausnahme bildet die Durchführung der Abnahme, die eine Hauptleistungspflicht der Auftraggeberin darstellt.
2. Muss die Auftraggeberin Mitwirkungsleistungen erbringen?
Mitwirkungsleistungen besitzen eine wichtige Rolle in der Projektmechanik. Sie sind in der Regel das einzige Werkzeug der Auftragnehmerin, die Auftraggeberin zur Erreichung des Projekterfolgs einzubinden und gegebenenfalls von eigenen Defiziten und Schwächen abzulenken. Daher ist es in der Sachverständigenpraxis wichtig, die einzelnen von der Auftragnehmerin angeforderten Mitwirkungsleistungen daraufhin zu untersuchen, ob sie tatsächlich von der Auftraggeberin erbracht werden müssen oder ob auch die Auftragnehmerin in der Lage ist, diese Leistungen zu erbringen und ob dies auch entsprechend so vereinbart wurde. Falls beispielsweise die Auftragnehmerin betriebsspezifische Daten der Auftraggeberin (etwa den Kontenrahmen) erfragt, kann diese Leistung nicht von der Auftragnehmerin erbracht werden, da Kontenrahmen sehr Unternehmens-spezifisch ausgeprägt sind. Auch Entscheidungen, ob bestimmte Change Requests (siehe Artikel Change Requests – Indikator für Schieflage?) umgesetzt werden, kann ausschließlich nur die Auftraggeberin treffen. Generell gilt, dass Entscheidungen mit wirtschaftlichen Auswirkungen nur die Auftraggeberin treffen kann, was auch die Abwägung wirtschaftlicher Aspekte einschließt.
Diese tatsächlichen Umstände sind im Recht nicht so geradlinig wiederzufinden. Die Mitwirkung ist im BGB nur rudimentär geregelt. Es gibt keine Angaben zum Umfang der Mitwirkungspflichten. Die herrschende Meinung ist, dass sie nicht einklagbar sind, so dass vertragliche Regelungen getroffen werden müssen. Dazu sind die Mitwirkungsleistungen konkret zu benennen.
Falls keine vertraglichen Regelungen getroffen wurden, wird es schwieriger. Dann kann sich die Auftragnehmerin nur darauf berufen, dass die Auftragnehmerin auch einen Projekterfolg anstrebt. Es liegt daher auch in ihrem Interesse, die notwendigen Mitwirkungsleistungen zu erbringen. Dieser abstrakte Grundsatz Treu und Glauben ist sehr genereller Natur und daher im Einzelnen auszulegen und zu begründen. Diese Vorgehensweise ist mit sehr vielen Unsicherheiten verbunden, so dass es sich aus Sachverständigensicht nur um eine Notlösung handeln kann.
Eine weitere in diesem Kontext bestehende Vorschrift kann die Auftragnehmerin von der Leistungsverpflichtung befreien. Der Anspruch auf eine Leistung ist nämlich dann ausgeschlossen, wenn die Erbringung für die Auftragnehmerin unmöglich ist oder in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse der Auftraggeberin steht. Im Ergebnis führt das zum Scheitern des Projekts, die Einführung eines neuen Systems verzögert sich weiter.
3. Was sind technisch sinnvolle Vereinbarungen und Empfehlungen?
Im vorhergehenden Abschnitt habe ich dargestellt, dass der Königsweg die vertragliche Festlegung von Mitwirkungsleistungen ist. Im Folgenden stelle ich einige wichtige Punkte zusammen, die Unsicherheiten vermeiden und Projektrisiken vermindern.
Bereits bei den Vertragsverhandlungen kann die Auftragnehmerin die Plausibilität prüfen: Ist sie überhaupt in der Lage, die von der Auftragnehmerin veranschlagten Leistungen zu erbringen? Dazu habe ich ein Beispiel im Artikel Problematische IT-Projekte beenden? vorgestellt. Dabei muss sich die Auftraggeberin darüber im Klaren sein, dass externe Personen nur bei Arbeiten mit geringem Einarbeitungsaufwand unterstützen können. Hierzu gehören etwa Datenbereinigungsarbeiten und die Durchführung von Tests. Sie können aber Testergebnisse nur beurteilen, wenn das erwartete Testergebnis ausreichend dokumentiert ist. Informationen zu Geschäftsprozessen oder Einzelanforderungen an Abläufe können in der Regel nur qualifizierte Mitarbeiter der Auftraggeberin erbringen. Der Einsatz von Freelancern oder Zeitarbeitern ist hier kein tragfähiger Lösungsansatz.
Bei einer fachgerechten Projektplanung – unabhängig von der Projektmethodik – werden Arbeitspakete identifiziert, festgelegt und abgearbeitet. Damit einher geht die Planung der Ressourcen, die zur Abarbeitung eines Arbeitspaketes benötigt werden. Es wird deutlich, welche Informationen vorliegen müssen, welche Randbedingungen erfüllt sein müssen und welche Unterstützungsmaßnahmen benötigt werden. Auftragnehmerin und Auftraggeberin legen gemeinsam fest, welche Leistungen von welchem Projektpartner erbracht werden müssen. Auch die Verantwortlichkeit für die einzelnen Leistungen kann hier festgeschrieben werden. Diese Vorgehensweise regelt Zuordnungen zu Projektpartnern und vermeidet spätere Auseinandersetzungen über den Leistungsumfang.
Für die einzelnen Mitwirkungsleistungen hat es sich bewährt, folgende Angaben zu dokumentieren:
- Art der Mitwirkungsleistung (wie beispielsweise Informationserteilung, Bereitstellung von Infrastruktur, Teilnahme an Workshops etc.)
- Zeitlicher Umfang
- Qualifikationen – Anforderungen an die die Mitwirkungsleistung erbringende Person in Bezug auf Qualifikation (Wissen über Geschäftsprozesse, Entscheidungsbefugnisse)
- Zeitliche Einordnung der Leistungen im Projektplan – diese Festlegung bietet der Auftraggeberin Klarheit darüber, wie ihre Leistungen in den zeitlichen Ablauf des Projekts und die Aufeinanderfolge der einzelnen Projektschritte einzuordnen sind.
Häufig sind es Schlüsselpersonen, die diese Mitwirkungsleistungen erbringen müssen, aber durch ihre sonstigen Tätigkeiten voll ausgelastet sind. Daher muss die Auftraggeberin dafür Sorge tragen, dass die entsprechenden Kapazitäten für die Projektdurchführung zeitgerecht zur Verfügung stehen.
Nach meiner Erfahrung streiten sich Projektpartner am häufigsten über konkrete Anforderungen von Mitwirkungsleistungen, die schlecht oder unklar nachvollziehbar sind. Die Auftragnehmerin kann Konflikte über Mitwirkungsleistungen abschwächen, wenn sie ein klares Vorgehen zum Abruf dieser Leistungen einhält – das am besten vertraglich vereinbart wird. Dazu gehören eine nachvollziehbare Form, ein angemessener Vorlauf, die Bezeichnung der Art der Leistung, der Umfang und die Anforderungen an die Personen, die die Leistung erbringen sollen. Ferner sollten (Nach-)Fristen und die bei Überschreiten eintretenden Folgen festgelegt werden.
Eine weitere häufige Quelle von Konflikten ist die Qualität der erbrachten Leistungen. Die Ursache liegt in der Regel an unterschiedlichen Erwartungen auf Auftraggeber- und Auftragnehmerseite. Die Personen, die mit Mitwirkungsleistungen der Auftraggeberin betraut sind, arbeiten vergleichsweise selten in IT-Projekten. Sie müssen sich auf eine Arbeitsweise einstellen, die von ihrem üblichen Vorgehen abweicht und für die es weniger Erfahrungen gibt. Die Auftragnehmerin hat dagegen weitreichendes Knowhow in IT-Projekten und überschätzt daher eher die Leistungsmöglichkeit der Auftraggeberin. Hier hat sich ein iteratives Vorgehen bewährt, das auf enger Zusammenarbeit der Projektpartner und kurzen Abstimmungszyklen der Zwischenergebnisse beruht.
Der Umfang von Mitwirkungsleistungen wird durchgehend unterschätzt. Bei üblichen Softwareeinführungsprojekten muss die Auftraggeberin in der Regel zwischen 50 % bis 200 % des extern vergebenen Personalaufwandes zusätzlich selbst erbringen. Dieser Aufwand verteilt sich auf alle Projektphasen und hängt sehr von der individuellen Projektgestaltung ab.
Wie bereits oben aufgeführt, ist eine Begrenzung der Mitwirkungsleistungen sinnvoll. Sie sollte zumindest den zu erwartenden Aufwand zuzüglich eines Risikozuschlags beinhalten. Der Auftraggeberin muss allerdings klar sein, dass sie auch darüber hinaus Mitwirkungsleistungen erbringen muss, wenn dies für den Projekterfolg unumgänglich ist. Für diesen Fall hat es sich bewährt, eine Vergütungsregelung für Mitwirkungsleistungen oberhalb dieser Grenze zu vereinbaren.
4. Zusammenfassung
In einem IT-Projekt sind Mitwirkungsleistungen der Auftraggeberin unverzichtbar. Nur sie kann Unternehmens-spezifische Leistungen erbringen und Entscheidungen mit wirtschaftlichen Auswirkungen treffen. Häufige Konfliktpunkte der Projektpartner über den Umfang, die Qualität und die Zeitpunkte können Sie durch klare vertragliche Regelungen vermeiden.
Dr. Siegfried Streitz.